Wenn nichts mehr schmerzt - Analgesie und Hypoalgesie
Chronische Schmerzpatienten wünschen sich oft nichts weiter als einen Tag ohne Beschwerden. „Für sie ist es ein andauerndes Leid, das häufig mit Krisen und wenig Lebensfreude verbunden ist", schildert Dr. Wolfgang Sohn, Schmerztherapeut und Fachbeirat des Deutschen Grünen Kreuzes e. V . in Marburg, das Problem. Doch wer es recht bedenkt: Ohne Schmerzen wäre das Leben auch nichts. Diese leidvolle Erfahrung machen zwar nur wenige. Aber es trifft sie sehr hart.
Analgesie
Menschen, die mit angeborener Schmerzunempfindlichkeit auf die Welt kommen, haben schon im Vorschulalter eine vernarbte Haut. "Ständige Verletzungen entstehen, weil sie nichts mehr spüren – keinen Schlag, keine Verbrennungen, keine Schnittwunde", erklärt der Kempener Schmerzexperte. Beim Toben kennen die Kinder keine Grenzen. Knochenbrüche sind an der Tagesordnung, Verstümmelungen keine Seltenheit. "Noch gefährlicher sind von außen nicht erkennbare Verletzungen oder beispielsweise eine Blinddarmentzündung", betont Sohn. Es gibt keine Warnsignale. Hier kann jede Hilfe zu spät kommen.
Neben der angeborenen Schmerzunempfindlichkeit, auch kongenitale Analgesie genannt, gibt es auch erworbene Formen. "Neuropathien, also Erkrankungen des Nervensystems, oder eine Infektion mit dem Lepra-Bakterium – in Entwicklungsländern keine Seltenheit – können ebenso die Schmerzempfindung stark beeinflussen", weiß der Fachmann. Die Nerven sterben ab oder leiten die Reizinformation nur unzureichend weiter. "Auch hier besteht dann die Gefahr, Verletzungen nicht mehr zu spüren", so Sohn weiter.
Hypoalgesie
Im Gegensatz zur Analgesie, also dem völligen Fehlen von Schmerzempfindungen, gibt es aber auch den Zustand der Hypoalgesie. "Bei der Hypoalgesie handelt es sich um ein vorübergehendes Phänomen", betont der Schmerzexperte. Die Schmerzempfindung ist lediglich gemindert. Ursache dafür sind körperliche Belastungen, wie beispielsweise eine intensive sportliche Betätigung oder eine Geburt.
"Durch die Belastung werden vermutlich zentrale schmerzhemmende Mechanismen aktiviert", erläutert Sohn.
Die Reizung bestimmter Nerven in der Muskulatur löst eine ganze Reihe von körperlichen Reaktionen aus, darunter auch die Freisetzung von Hormonen. Obwohl der genaue Ablauf noch nicht geklärt ist, haben Studien gezeigt, dass nach körperlicher Anstrengung die Schmerzschwelle an Fingern und Zähnen heraufgesetzt war. "Die Hypoalgesie scheint im Gegensatz zur Analgesie aber eine den Körper schützende Funktion auszuüben", meint Sohn.
Therapie
Eine Behandlungsmöglichkeit bei Analgesie gibt es nicht. Die Hypoalgesie ist nicht behandlungsbedürftig. Etwa eine Stunde nach der körperlichen Belastung verschwinden die Symptome von allein. "Möglicherweise gehen aus der Erforschung der Hypoalgesie aber interessante Ansätze für die Behandlung von Schmerzpatienten hervor", hofft der Schmerzfachmann. Die Aktivierung der körpereigenen Schmerzbremsen ist ein wichtiger Co-Faktor bei der Therapie chronischer Schmerzen.