ADHS bei Erwachsenen
ADHS ist eine Verhaltensstörung, die vor allem bei Kindern vorkommt. Einige Symptome bleiben bis ins Erwachsenenalter erhalten, treten allerdings bei Erwachsenen meist in deutlich schwächerer Ausprägung auf. Im Volksmund ist ADHS auch als "Zappelphilipp-Syndrom" bekannt: Die Betroffenen fallen meist durch Unruhe sowie durch Aufmerksamkeitsstörungen auf. Im Folgenden stellen wir Ihnen die Ursachen dieser Erkrankung vor. Neben den typischen Symptomen und der Diagnostik bei Erwachsenen informieren wir außerdem auch über die Möglichkeiten der Behandlung.
Was ist ADHS?
ADHS ist die Abkürzung für Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom. Typische Symptome dieser Krankheit sind die Unfähigkeit zur gerichteten Aufmerksamkeit (Aufmerksamkeitsdefizit), impulsives Handeln und ein übermäßiger Bewegungsdrang (Hyperaktivität). Auch Störungen des Sozialverhaltens treten häufig auf.
ADHS ist eine der häufigsten psychischen Beeinträchtigungen. Betroffene fühlen sich oftmals gesund, leiden aber indirekt unter den Folgen ihrer Erkrankung. So führen Zappeligkeit und Konzentrationsstörungen oftmals zu schulischen Problemen und später im Erwachsenenalter zu Schwierigkeiten in der Ausbildung, im Studium oder Berufsleben sowie in persönlichen Beziehungen.
Ursachen: Woher kommt ADHS bei Erwachsenen?
ADHS entsteht niemals erst im Erwachsenenalter, sondern besteht bei betroffenen Erwachsenen immer bereits seit der Kindheit. Zwar vermindern sich die Verhaltensauffälligkeiten meist im Laufe der Jugend, doch oft treten sie bis ins Erwachsenenalter hinein auf.
Die Hintergründe der Krankheitsentstehung sind noch nicht vollständig geklärt. Man geht aber davon aus, dass sowohl neurobiologische als auch psychosoziale Ursachen eine Rolle spielen. Das heißt, die Ursachen von ADHS liegen sowohl im Nervensystem als auch der Psyche und dem sozialen Umfeld. Man bezeichnet dies als multifaktorielle Pathogenese. Auch genetische Einflüsse wurden in verschiedenen Studien als bedeutsam herausgestellt. Bei Vorliegen bestimmter Veranlagungen kann das soziale Umfeld zur Entstehung von ADHS beitragen.
Darüber hinaus gelten Schädigungen des Zentralen Nervensystems (ZNS) während der Schwangerschaft und der Geburt als häufige Ursachen von ADHS. Bestimmte Hirnareale sind bei den Betroffenen nur unzureichend aktiv, sodass einige Signalstoffe, zum Beispiel Dopamin und Serotonin, in zu geringen Mengen ausgeschüttet werden. Ein Serotoninmangel führt zu einer mangelhaften Affektkontrolle, sodass es zu unüberlegten und stürmischen Handlungen sowie ungehemmtem Redefluss kommt. Ein Mangel an Dopamin ruft die charakteristischen Symptome Aufmerksamkeitsstörung und Motivationsmangel hervor.
Wie äußert sich ADHS bei Erwachsenen?
Die Symptome des ADHS bei Erwachsenen sind denen bei Kindern recht ähnlich. Die Aufmerksamkeitsschwierigkeiten treten ohne medikamentöse Behandlung bei Erwachsenen meist in nur leicht abgeschwächter Form auf.
Zudem nimmt die körperliche Unruhe mit steigendem Lebensalter in den meisten Fällen deutlich ab. Während Kinder in der Regel (außer bei der selteneren Form ohne Hyperaktivität) zappelig sind und pausenlos herumlaufen, beschränkt sich die Unruhe bei Erwachsenen in vielen Fällen auf ein subjektives Gefühl. Dadurch ist ADHS bei Erwachsenen in der Regel deutlich schwieriger zu erkennen und auch zu diagnostizieren als im Kindesalter.
Die drei Hauptsymptome des ADHS sind:
- Aufmerksamkeitsmangel: Dieser zeigt sich etwa durch Konzentrationsprobleme, leichte Ablenkbarkeit, Vergesslichkeit (etwa Vergessen von Terminen oder Verabredungen), Probleme beim Zuhören und mangelnde Organisationsfähigkeit.
- Hyperaktivität: Bei Erwachsenen macht sich diese meist durch ein inneres Unruhegefühl bemerkbar.
- Impulsivität: Erwachsene zeigen beispielsweise oft Ungeduld. Sie fallen anderen häufig ins Wort und geben unreflektiert ihren spontanen Einfällen nach. Auch Sprunghaftigkeit oder plötzliche Wutausbrüche können aus der mangelnden Impulskontrolle entstehen.
Häufige weitere Symptome und Folgen
Darüber hinaus gibt es weitere Anzeichen, von denen in der Regel mehrere zusätzlich auftreten:
- starke Stimmungsschwankungen, depressive Phasen, mangelndes Selbstwertgefühl
- nur wenige Freunde (kaum kontaktfreudig, "keine Zeit")
- unordentliche Haushaltsführung, Verschuldung infolge von planlosem Umgang mit Geld
- emotionales "Überreagieren", Betroffene fühlen sich schnell angegriffen und sind leicht frustriert
- unzureichende Wahrnehmung und Interpretation der eigenen Gefühle und Bedürfnisse
- spontane und riskante Handlungen, teilweise lebensgefährlich (zum Beispiel Rasen im Straßenverkehr)
Auch entwickeln Betroffene häufiger im Erwachsenenalter weitere psychiatrische Erkrankungen. Insbesondere bei Frauen geht ADHS häufig mit einer Depression einher. Oft zeigt sich ein vermehrter Hang zu Tabak-, Alkohol- und Drogenkonsum beziehungsweise zu Abhängigkeitserkrankungen.
All diese Auffälligkeiten beeinträchtigen die Lebensführung und sind teilweise erhebliche Risikofaktoren für schwerwiegende Erkrankungen oder Konflikte mit dem Gesetz. Daher müssen sie bei der ärztlichen beziehungsweise therapeutischen Behandlung berücksichtigt werden.
Sexualität bei Erwachsenen mit ADHS
In Studien wurden bei ADHS-Betroffenen vermehrt Schwankungen des Sexualhormonspiegels gemessen. Daher kommt es auch zu Problemen mit der Sexualität, wie einem erhöhten Auftreten von erektiler Dysfunktion (ED, Erektionsprobleme) und einer deutlich verringerten Libido (reduzierte sexuelle Lust).
Durch einen Drang zu impulsivem und unüberlegtem Handeln kommt es außerdem häufig zu riskanten Sexualpraktiken und infolgedessen zu einem deutlich erhöhten Risiko für sexuell übertragbare Krankheiten.
Unterschiede zwischen Frauen und Männern
Männer erhalten häufiger die Diagnose ADHS als Frauen. Allerdings muss beachtet werden, dass sich das Syndrom bei Frauen oft anders äußert als bei Männern. Wahrscheinlich ist die Dunkelziffer bei Frauen sehr hoch, weil das auffälligste Symptom, die körperliche Unruhe, bei ihnen oft fehlt.
Bei Frauen überwiegt meist die Aufmerksamkeitsstörung (unaufmerksame Form des ADHS), während der Bewegungsdrang weniger stark ausgeprägt ist (hypoaktive Form). Man spricht dann auch von ADS, wodurch hervorgehoben wird, dass die Hyperaktivität kein Bestandteil der Krankheit ist. ADS kommt aber nicht nur bei Frauen vor, auch Männer gehören in vielen Fällen zum unaufmerksamen Typ.
Wie wird ADHS bei Erwachsenen diagnostiziert?
Für die Diagnose des ADHS werden im Wesentlichen zwei Klassifikationssysteme verwendet, die sowohl für Kinder als auch für Erwachsene gelten. Die Untersuchung wird von einem*einer Psychiater*in oder einem Allgemeinmediziner*in durchgeführt – die Person sollte Erfahrung mit ADHS-Betroffenen haben.
Ein einheitlicher Test existiert nicht, vielmehr werden mehrere Interviews sowie klinische und psychiatrische Untersuchungen durchgeführt, sodass die Diagnose des ADHS ein recht aufwendiger und mehrstufiger Prozess ist. Oftmals werden dabei auch standardisierte Fragebögen herangezogen (zum Beispiel die Wender-Utah-Rating-Scale) oder Tests der neuropsychologischen Leistung durchgeführt.
Klassifikation: Diagnose nach ICD-10 und DSM-5
Folgende Klassifikationssysteme werden verwendet:
- Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD-10)
- Diagnostischer und statistischer Leitfaden psychischer Störungen (DSM-5)
Nach ICD-10 ist für die Diagnose das Vorliegen aller drei Hauptkriterien des ADHS, also Aufmerksamkeitsdefizit, Hyperaktivität und Impulsivität, erforderlich.
Die Klassifikation nach DSM-5 dagegen teilt die Betroffenen in drei Kategorien ein:
- überwiegend unaufmerksamer Typ (Hyperaktivität und Impulsivität nur geringfügig oder überhaupt nicht ausgeprägt)
- überwiegend hyperaktiv-impulsiver Typ (Aufmerksamkeitsdefizit nicht oder nur geringfügig ausgeprägt)
- Mischtyp (alle drei Kernsymptome sind sichtbar ausgeprägt)
Aufgrund der schlechteren Wahrnehmbarkeit und der erschwerten Diagnose ist davon auszugehen, dass der vorwiegend unaufmerksame Typ eine hohe Dunkelziffer aufweist und somit viele Betroffene nicht ausreichend therapiert werden. In der Folge kommt es häufig zu einer sozialen Ausgrenzung durch das unübliche und "nicht der Norm entsprechende" Verhalten.
Schwierigkeiten im Beruf und in Beziehungen
Impulsive Handlungen und für andere nicht nachvollziehbares Verhalten erschweren am Arbeitsplatz und im Privatleben die Entstehung fester Beziehungen und stellen in vielen Bereichen des Lebens ein Hindernis dar.
Im beruflichen Umfeld wirken Erwachsene mit ADHS oft planlos, chaotisch, unzuverlässig, unorganisiert und nicht teamfähig. Aufgaben werden nicht zu Ende gebracht und stressige Situationen lösen häufig Überreaktionen aus. Dies führt oftmals zu Spannungen und häufigen Jobwechseln.
Ähnliche Probleme ergeben sich oft auch in Bezug auf Freundschaften, weshalb Betroffene mitunter nur wenige Freunde haben. Oft kommt es auch zu Problemen in der Partnerschaft. Menschen mit ADHS gelten mitunter als beziehungsunfähig und haben deshalb häufig wechselnde (Sexual-)Partner*innen.
Eine besondere Herausforderung stellt die Elternschaft dar. Menschen mit ADHS können genauso gute Eltern sein wie andere auch. Dennoch bedarf es oft besonderer Anstrengung und teils auch zusätzlicher Unterstützung durch Spezialist*innen. Spannungen in der Familie sind keine Seltenheit. Kinder von Eltern mit ADHS können außerdem aufgrund der fehlenden Vorbildfunktion Schwierigkeiten haben, sich selbst zu organisieren.
Was tun gegen ADHS bei Erwachsenen?
Die Behandlung des ADHS bei Erwachsenen ist abhängig von der Ausprägung der Symptome und dem individuellen Leidensdruck der Betroffenen. Manchen Betroffenen reichen wegen des Rückgangs der Symptome mit dem Eintritt ins Erwachsenenalter schon regelmäßiger Sport und fest in den Tagesablauf integrierte Routinen zur Bewältigung des Alltags aus. Andere benötigen deutlich ausgeprägtere Therapiemaßnahmen.
Eine "Heilung" von ADHS ist zwar nicht möglich, wohl aber können Betroffene lernen, damit umzugehen und ihr Leben so zu gestalten, dass die Symptomatik gut beherrschbar wird.
Psychologische Hilfe bei AHDS
Neben Selbsthilfegruppen, die vielen eher leicht Betroffenen helfen, stellt die Psychotherapie die Grundlage einer ADHS-Behandlung dar. Diese erfolgt in der Regel bei einem*einer Psychiater*in oder psychologischen Psychotherapeut*in. Regelmäßig und geordnet ablaufende Sitzungen helfen, eingefahrene Denk- und Verhaltensmuster in kleinen Schritten hin zu einem "normaleren" und sozialverträglicheren – und somit letztlich für die Betroffenen hilfreicheren – Denken und Handeln zu verändern.
Medikamente zur Behandlung von ADHS
Hinzu kommt häufig der Einsatz von Medikamenten. Normalerweise wird bei der medikamentösen Therapie Methylphenidat eingesetzt, ein stimulierender Wirkstoff aus der Gruppe der Sympathomimetika. Dies sind Stoffe, die die anregende Wirkung des Sympathikus (ein Teil des Nervensystems) verstärken und infolgedessen die Konzentration der Botenstoffe Noradrenalin und Dopamin im Gehirn erhöhen. Dadurch verbessert sich die Filterfunktion des Gehirns für Reize, die von außen eingehen, und es kommt somit zu einer deutlich verbesserten Konzentrations- und Aufmerksamkeitsfähigkeit. Der bekannteste Handelsname für das Arzneimittel ist Ritalin®, weitere häufig verschriebene Medikamente tragen die Namen Concerta® und Medikinet®.
Für eine maximale Wirkung des Medikaments sollte die Dosierung der Tabletten mit geringen Mengen begonnen und dann in kleinen Stufen auf eine ausreichend wirksame Menge gesteigert werden. Die Gesamtdosis wird üblicherweise über den Tag verteilt, sodass immer ein ausreichender Wirkstoffspiegel gewährleistet ist.
Sollte eine Therapie mit Methylphenidat keine ausreichende Wirksamkeit erzielen, ist eine Behandlung mit dem Wirkstoff Lisdexamfetamin (Elvanse®) möglich. Das Medikament gilt bei Erwachsenen als gleichwertig und kann auch ohne vorherige Therapie mit Methylphenidat eingesetzt werden. Ein weiterer für die ADHS-Behandlung zugelassener Wirkstoff zu Verbesserung der Konzentrationsfähigkeit ist Atomoxetin (Strattera®, Atomoxe®).
Alle genannten Arzneistoffe sind verschreibungspflichtig und sollten nur nach ärztlicher Empfehlung eingenommen werden. Eine ausführliche Untersuchung und Einbeziehung möglicher Risikofaktoren ist für die Verschreibung unerlässlich.
Neurofeedback bei ADHS?
Die sogenannte Neurofeedbacktherapie ist eine Behandlungsmöglichkeit des ADHS, die seit den 1970er Jahren erforscht wird, aber nur langsam Einzug in die ADHS-Therapie hält. Durch Elektroenzephalopathie (EEG) lassen sich Hirnaktivitäten in Form von Kurvenverläufen darstellen. Betroffenen werden in den Therapiesitzungen ihre Kurven als Folge bestimmter Gedanken- oder Handlungsmuster unmittelbar zurückgemeldet, sodass sie gezielt trainieren können, ihre Gehirnaktivität zu steuern. So sollen sie durchdachtes und sinnvolles Denken und Handeln erlernen und erkennen können. Symptombedingte Störungen in der Verteilung der Gehirnfrequenzen (Aktivität und Zusammenwirken verschiedener Hirnzellen) können so bei gutem Ansprechen durch entsprechendes Training nahezu normalisiert werden.
In der Folge kommt es laut Studien bei vielen Betroffenen innerhalb von 20 bis 40 Sitzungen zu einer deutlich erhöhten Aufmerksamkeit, einem verringerten Drang zur Bewegung und einer verbesserten Impulskontrolle. Durch strukturelle und funktionelle Veränderungen im Zentralen Nervensystem (Neuroplastizität) sind die Ergebnisse im Idealfall von Dauer.
Die Neurofeedbacktherapie ist nach wie vor ein selten angewandtes Verfahren in der ADHS-Therapie und nicht unumstritten. Dennoch könnte sie eine wegweisende Behandlungsmethode sein, da sie nicht nur die Symptome, sondern auch die Ursachen beseitigen oder zumindest vermindern könnte.