Wachkoma-Patient im Krankenhaus
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Wachkoma (Apallisches Syndrom)

Von: Susanne E. Kaiser
Letzte Aktualisierung: 16.08.2019

Beim Wachkoma oder apallischen Syndrom kann die betroffene Person nicht essen, nicht trinken und kaum bis gar nicht kommunizieren. Dennoch schlafen sie und manche reagieren auch auf Reize. Doch viele erwachen niemals ganz aus ihrem Dämmerschlaf.

Die Augen geöffnet, die Mimik erstarrt in einer Mischung aus Erstaunen und Desinteresse, nicht fähig, sich zu bewegen oder irgendwie Kontakt zur Außenwelt aufzunehmen: Patienten im Wachkoma sind weniger als der Schatten ihrer selbst. "Apallisches Syndrom" nennen Mediziner diesen Zustand zwischen der tiefen Bewusstlosigkeit (Koma) und dem bewussten Wachsein, wie Gesunde es erleben. Etwa 3.000 bis 5.000 Menschen fallen in Deutschland jedes Jahr in ein Wachkoma. Einigen gelingt es, sich wieder in die Welt der Wachen zurück zu kämpfen. Schätzungsweise 12.000 dämmern dauerhaft vor sich hin.

Tod durch Nahrungsentzug

In den USA wurde beispielsweise einer Patientin nach vielen Jahren im Wachkoma die Nahrung entzogen und somit ihr Todesurteil gefällt. Sie hat sich gequält, sagt der Ehemann. Es ging ihr nicht wirklich schlecht, beteuern die Eltern. Doch wer Recht hat, wird niemand wirklich erfahren. Denn ob und was im Bewusstsein eines Wachkomapatienten wirklich vor sich geht, kann niemand mit Sicherheit sagen.

Ursachen für ein Wachkoma

Ursächlich für das apallische Syndrom sind oft Unfälle, bei denen das Gehirn verletzt wurde. Auch durch eine Unterversorgung des Gehirns mit Sauerstoff – zum Beispiel durch einen Narkosezwischenfall oder nach einer Wiederbelebung nach einem langen Herzstillstand – kann ein Mensch ins Wachkoma geraten.

Oft schließt sich das Wachkoma an ein richtiges Koma an. Doch von Erwachen kann eigentlich nicht geredet werden. Diese Patienten atmen zwar ohne maschinelle Hilfe. Auch ihr Schlaf-Wach-Rhythmus ist vorhanden. Sie sind aber nicht in der Lage zu essen oder zu trinken und müssen darum künstlich ernährt werden.

Begriff "Wachkoma" ist irreführend

Viele Mediziner verwahren sich gegen den Begriff "Wachkoma", da er ein Widerspruch in sich ist. Das Wort Koma stammt aus dem Griechischen und bedeutet tiefe Ohnmacht. "Minimally conscious state": Der Zustand des minimal möglichen Bewusstseins - der englische Sprachbegriff - erscheint zutreffender. Denn viele Patienten mit dem Krankheitsbild des apallischen Syndroms reagieren auf Reize ihrer Umwelt.

Mit Gehirnstrommessungen kann dabei in einigen Fällen auch belegt werden, ob es sich bei der Reaktion, zum Beispiel wenn die Augen einem Finger folgen, um reine Reflexe handelt, oder ob der Patient äußere Reize in der Großhirnrinde, dem Zentrum des Bewusstsein und des Denkens, verarbeiten kann. Bei Gesunden erzeugen Sätze ohne Sinn im Gehirn ein bestimmtes Muster auf dem EEG (Elektro-Enzephalogramm, der Aufzeichnung der Gehirnströme). Solche Wellen können auch bei einigen Patienten im Wachkoma gemessen werden.

Glasgow-Coma-Scale

Es gibt folglich nicht "das" Wachkoma, sondern vielmehr eine Vielzahl von verschiedenen Stufen des Bewusstsein, in denen sich ein Mensch befinden kann. Wie weit sich ein Mensch von seinem bewussten Selbst entfernt hat, wird mit den Zahlen einer Skala angegeben, der so genannten "Glasgow Coma Scale".

Der Arzt bewertet dabei bestimmte Anhaltspunkte wie die Fähigkeit, bewusst Bewegungen auszuführen oder sich verbal verständlich zu machen. Bei einem GCS-Wert von 3 befindet sich der Betroffene in einem tiefen Koma, reagiert auf nichts und kann auch von sich aus nicht reagieren. Ein GCS-Wert von 15 entspricht einem gesunden, wachen Menschen.

Locked-In-Syndrom

Ein besonderer Fall, der noch vom Wachkoma abgegrenzt werden muss, ist das so genannte Locked-In-Syndrom: Menschen mit diesem Krankheitsbild können wie Komapatienten sich weder bewegen noch sprechen, ihr bewusstes Selbst ist dabei jedoch vollkommen intakt: so erlebte Karl-Heinz Pandtke, ein Patient aus Berlin, bewusst mit, wie die Notfallärzte ihn nach einem Schlaganfall, der sein Kleinhirn betraf, für tot erklärten. Er war dabei nicht in der Lage zu sprechen oder auch nur zu blinzeln. Er war ein Gefangener im eigenen Körper.

Unser Bewusstsein liegt in der Großhirnrinde: Hier denken und fühlen wir, hier liegt unsere Persönlichkeit aufgegliedert auf verschiedenen Bereiche und Hirnwindungen. Das Stammhirn, der "älteste" Teil unseres zentralen Nervensystems (ZNS), der in unserer Evolution viel, viel früher entstand, steuert die Lebenserhaltung: Atmung, Schlafrhythmus, Reflexe. Bei einer Schädigung des Großhirns, wobei das Stammhirn aber funktionstüchtig bleibt, liegt ein apallisches Syndrom vor. Der Patient befindet sich im Wachkoma.

Beim Locked-In-Syndrom ist das Großhirn, also das Bewusstsein, nicht betroffen. Doch sind dem Großhirn jede Kontrollen über den Körper entzogen, äußerlich ähnelt dieser Zustand sehr dem Koma oder Wachkoma. Oft werden Patienten mit Locked-In nicht als solche erkannt und müssen bei wachem Geist in einem bewegungsunfähigen Körper ausharren.

Rehabilitation im Wachkoma

Je früher ein Patient mit der Rehabilitation beginnen kann, desto größer sind die Chancen auf eine Heilung oder zumindest auf eine Besserung des Zustands. Je umfassender die Betreuung, desto besser. Angehörige sollten viel mit den Patienten sprechen, bei der Pflege mithelfen und sich zeigen lassen, wie sich richtig mit dem Koma- oder Wachkomapatienten umgehen müssen. Schon kleine Signale wie das Heben einer Augenbraue oder ein Zucken mit dem Finger können erste Zeichen für das Wiedererwachen des Bewusstseins sein. Oft vergehen aber Monate, bis sich erste Erfolge zeigen.

Die Rehabilitation und Pflege eines Patienten im Wachkoma geht finanziell in die Tausende Euro pro Monat. Viele Krankenkassen bezahlen nur bis zu einem gewissen Punkt und nehmen vielen Menschen so die Möglichkeit, weiter Fortschritte zurück Richtung Normalität zu machen.

Belastung für die Angehörigen

Doch nicht nur finanziell wird den Angehörigen viel abverlangt. Die Pflege eines geliebten Menschen, der in eine so hilflose Situation geraten ist, ist eine enorme nervliche und oft auch körperliche Belastung, vor allem, wenn die Pflege zu Hause erfolgt. In Selbsthilfegruppen und bei Beratungsstellen finden sie Hilfe und können mit anderen Betroffenen sprechen. Schädel-Hirnpatienten in Not e.V. bietet sogar ein Notfalltelefon an.