Ketamin: Wirkung gegen Schmerzen und Depressionen
Ketamin ist ein Wirkstoff, der als schnellwirksames Schmerzmittel in der Notfallmedizin eine große Rolle spielt. Doch auch als Narkosemittel und Antidepressivum findet das Mittel Anwendung. In diesem Artikel erfahren Sie, wofür Ketamin außerdem eingesetzt wird, welche Wirkung es auf den Körper hat und warum gerade die unerwünschten Nebenwirkungen von Ketamin den Missbrauch als Droge ausgelöst haben.
Was ist Ketamin?
Seit 1963 ist der eigentlich als Narkosemittel entwickelte Wirkstoff Ketamin bekannt. Heute wird unter anderem es auch bei Depressionen und gegen Schmerzen eingesetzt. Ketamin ist ein verschreibungspflichtiges Medikament, welches nicht frei verkäuflich ist. Die häufigste Anwendung ist als Infusionslösung. Man kann es aber auch über die Nase (nasal) oder den Mund (oral) aufnehmen.
Ketamin, Esketamin und S-Ketamin – wo ist der Unterschied?
In Bezug auf die Namensgebung findet man auch häufiger die Schreibweisen Esketamin oder S-Ketamin. Dieser Ausdruck bezieht sich auf die molekulare Zusammensetzung des Stoffes, hat also einen chemischen Hintergrund.
In der Chemie unterscheidet man bei Molekülen mit gleicher Strukturformel, sprich bei gleichem Bauplan, die sogenannten Enantiomere. Man kann sich Enantiomere wie Spiegelbilder vorstellen. Betrachtet man ein geschriebenes Wort im Spiegel, so wirkt die Schrift für uns "verkehrtherum". So ähnlich verhält es sich auch mit Molekülen.
Wissenschaftler unterscheiden zwischen S-Enantiomeren und R-Enantiomeren. Um in der Analogie zu bleiben, wären S-Enantiomere das Bild vor dem Spiegel und R-Enantiomere das Spiegelbild. Obwohl die Stoffe in Bezug auf ihre Strukturformel gleich aufgebaut sind, besitzen sie unterschiedliche Wirkungsweisen.
Eine weitere Analogie, um diesen Umstand besser zu verstehen, ist das Bild von zwei gleichen Handschuhen. Versucht man, den rechten Handschuh auf die linke Hand zu ziehen, wird dies nicht zum gewünschten Ergebnis führen. Ähnlich verhält es sich bei den Enantiomeren. Die S- und R-Enantiomere sind zwar baugleich, bewirken aber unterschiedliche Reaktionen im Körper.
Der Wirkstoff Ketamin ist ein Gemisch aus fünfzig Prozent S-Ketamin und fünfzig Prozent R-Ketamin.
Wie wirkt Ketamin?
Ketamin wirkt an vielen verschiedenen Stellen im Körper. Einer der wichtigsten Rezeptoren, an den Ketamin andockt und an dem es seine Wirkung entfaltet, trägt den komplizierten Namen N-Methyl-D-Aspartat (kurz: NMDA-Rezeptor). Hier wirkt Ketamin antagonistisch, das bedeutet, es blockt diese Rezeptoren und verhindert so die Freisetzung von Glutamat. Glutamat ist ein Botenstoff in unserem Gehirn, der Neuronen aktiviert. Ketamin wirkt also über die Hemmung von Glutamat, sodass weniger Signale in unserem Gehirn ankommen.
Die Wirkweise von Ketamin wird in der Medizin mit dem Begriff "dissoziative Anästhesie" umschrieben. Unter diesem Ausdruck werden vier Effekte zusammengefasst:
- Bewusstseinsverlust: Durch Ketamin fehlt bei Betroffenen das psychische Bewusstsein für das Geschehen
- Analgesie: Das Schmerzempfinden wird durch Ketamin blockiert
- Amnesie: Betroffene können sich nicht mehr erinnern
- Erhalt der Schutzreflexe: Dies ist besonders in Notfallmedizin wünschenswert, da die spontane Atmung durch Ketamin nicht unterdrückt wird, Betroffene also trotz der Betäubung selbstständig weiter atmen können
Neben seiner Wirkweise als dissoziatives Anästhetikum kann Ketamin noch andere Bereiche im Körper beeinflussen:
- Bronchien: Ketamin weitet die Bronchien
- Herz-Kreislauf-System: Ketamin steigert den Blutdruck und die Herzfrequenz
- Gehirn: Steigerung des Hirndrucks
- Speicheldrüsen: Ketamin fördert die Produktion von Speichel
Ketamin in der Medizin – wo wird es eingesetzt?
Das Wirkprofil von Ketamin macht es zu einem idealen Notfallmedikament, das beispielsweise von Sanitätern nach Unfällen eingesetzt wird. Im Gegensatz zu ähnlichen Wirkstoffen, wie Propofol, stabilisiert Ketamin den Kreislauf und dämpft dennoch gleichzeitig die Schmerzempfindung.
Durch seinen weitenden Effekt auf die Bronchien kann Ketamin auch als Mittel bei Status asthmaticus gegeben werden. Unter Status asthmaticus verstehen Mediziner einen lebensbedrohlichen Asthmaanfall, bei dem Betroffene trotz Medikamentengabe nicht ausreichend Luft bekommen.
Auch in der Anästhesie findet Ketamin seinen Einsatz. Hier meist in Form von Ketanest® als Ketamin-Infusion. Dies ist eine vorgefertigte Lösung aus Esketamin, bei der die Dosierung des Medikamentes schon vorgegeben ist.
Möchte der Anästhesist eine Narkose mit Ketamin einleiten, so wird eine Dosierung von 0,5 bis 1 mg Esketamin pro Kilogramm Körpergewicht des Patienten verwendet. Die Wirkdauer von Ketamin ist mit zehn bis fünfzehn Minuten recht kurz, weshalb während eines Eingriffes Ketamin nach Bedarf über die Infusion nachgegeben werden kann.
Darüber hinaus findet Ketamin auch Anwendung in der Schmerztherapie, bei Depressionen und als Droge.
Ketamin in der Schmerztherapie
Reduziert man die Dosis von Ketamin, verschwinden die Effekte auf das Bewusstsein (man spricht in Fachkreisen von subnarkotischen Dosierungen). Unter diesen Bedingungen bleibt hauptsächlich die Wirkung gegen Schmerzen erhalten. Dies macht man sich zum Beispiel beim Verbandswechsel von großflächigen Brandwunden zu Nutze.
Ein weiterer Anwendungsbereich von Ketamin liegt in der Therapie des komplexen regionalen Schmerzsyndroms (CRPS). Dieses Phänomen kann nach einem Trauma, zum Beispiel nach einem Knochenbruch, auftreten. Die genaue Ursache von CRPS ist noch nicht abschließend erforscht, das Syndrom geht jedoch mit chronischen Schmerzen und Einschränkungen der Beweglichkeit im betroffenen Bereich einher. Scheitern die üblichen Therapien, kann man versuchen, mit einer Ketamin-Dauerinfusion über vier Tage das komplexe regionale Schmerzsyndrom zu bekämpfen.
Eine ähnlich gute Schmerzdämpfung wie die Ketamin-Therapie können Opioide bewirken, zu denen zum Beispiel Morphin oder Fentanyl gehören. Diese besitzen allerdings ein noch höheres Abhängigkeitspotenzial und gehen mit vielen Nebenwirkungen wie starker Verstopfung einher.
Ketamin-Nasenspray – neuer Therapieansatz bei Depressionen
Seit 2019 ist in den USA der Wirkstoff Esketaminhydrochlorid als nasaler Wirkstoff bei Depressionen zugelassen. Ketamin wirkt in diesen Fällen als Antidepressivum und wird in Form von Nasensprays verkauft.
Erste klinische Studien haben positive Erfahrungen mit dem neuen Wirkstoff beschrieben, insbesondere bei Patienten mit bipolaren Störungen und Suizidgedanken. Besonders bemerkenswert war der schnelle Wirkungseintritt, manchmal innerhalb von zwei Stunden nach Anwendung.
Noch ist jedoch nicht geklärt, welche molekularen Mechanismen dahinterstecken. So ist umstritten, ob Ketamin selbst als Antidepressivum wirkt oder ob es nur andere Antidepressiva verstärkt.
Ketamin als Droge
Halluzinationen kommen regelmäßig bei der Gabe von Ketamin vor. Während dies in der Medizin eine unerwünschte Nebenwirkung darstellt, verhalf dieser Umstand Ketamin zu Beliebtheit in der Drogenszene. Ketamin gehört zur Wirkstoffklasse der Halluzinogene, zu der auch der Stoff Phencyclidin (PCP) gehört. PCP, auch als "Angel Dust" bekannt, war in den Sechzigern und Siebzigern beliebt, jedoch waren die Nebenwirkungen unvorhersehbar und recht stark.
Ketamin – auch bekannt unter den Namen "Special-K", "Kate", "Keta" oder "Vitamin K" – wirkt innerhalb kürzester Zeit. Bei intravenöser Gabe innerhalb von einer Minute, bei oraler Einnahme als Tablette kann es zehn bis fünfzehn Minuten dauern.
In den meisten Fällen stammt die Substanz aus Apotheken- oder Praxiseinbrüchen. Man kann das Medikament zwar in Apotheken kaufen oder über das Internet bestellen, doch da es verschreibungspflichtig ist, benötigt man ein Rezept. Zusätzlich zu den Nebenwirkungen des Ketamins besteht bei den als Droge zu erwerbenden Präparaten die Gefahr, dass diese verunreinigt sind, was den Konsum noch gefährlicher macht, als er ohnehin schon ist.
Die Effekte eines Ketaminrausches werden oft als farbenreiche Halluzinationen beschrieben. Außerdem berichten Konsumierende über folgende Empfindungen während eines Trips:
- Erleben von Nah-Tod-Erfahrungen
- Gefühl des Losgelöstseins vom eigenen Körper
- Euphorisierende Wirkung
- Wahrnehmung von Raum und Zeit ist verzerrt
Überdosierung von Ketamin
"Ins K-Hole fallen" – so wird der Zustand einer Überdosierung von Ketamin in der Drogenszene beschrieben. Gerade im Mischkonsum mit Alkohol ist die Gefahr eines tödlichen Ketaminrausches erhöht. In zu hohen Dosen unterdrückt Ketamin in unserem Atemzentrum die Reflexe. Im schlimmsten Fall kommt es zum Atemstillstand und zum Tod.
Da neben Ketamin einige andere Substanzen, wie Opioide, eine solche Atemdepression hervorrufen können, ist die Nachweisbarkeit der Droge entscheidend, um über eine mögliche Behandlung entscheiden zu können. Allerdings ist Ketamin nicht gut nachweisbar. Es lässt sich nur um Urin für zwei bis vier Tage nachweisen und auch nur, wenn ein Speziallabor angefordert wurde. Aus diesem Grund ist es besonders wichtig, bei Verdacht auf eine Überdosierung die Rettungssanitäter auf den Umstand hinzuweisen, dass die Person Ketamin genommen hat.
Im schlimmsten Fall kann Ketamin lebensgefährlich werden, denn es gibt kein Gegenmittel gegen eine Überdosis. Um Betroffene vor dem Ersticken zu retten, müssen sie häufig künstlich beatmet werden, damit dem Körper Zeit gegeben wird, um sich selbst von der Droge zu befreien.
Nebenwirkungen und Wechselwirkungen
Wie jedes Medikament besitzt Ketamin neben seinen vorteilhaften Wirkungen auch einige unerwünschte Nebenwirkungen. Zu diesen zählen:
- Anstieg des Hirndrucks
- Übelkeit
- Halluzinationen
- Kann zu Abhängigkeit führen
- Bei zu hoher Dosis: Atemstillstand
In der Medizin wird Ketamin häufig mit Midazolam zusammengegeben. Midazolam gehört zur Wirkstoffklasse der Beruhigungsmittel (Barbiturate) und verhindert starke Alpträume nach Ketamingabe.
Fazit: Ketamin als vielseitiger Wirkstoff
Ketamin ist ein vielfältig eingesetztes Medikament, welches ursprünglich für die Narkose entwickelt wurde. Dort wird es heute aber nur noch unter gewissen Umständen, gerade in der Notfallmedizin, eingesetzt, da einige unerwünschte Nebenwirkungen beobachtete wurden. Diese Nebenwirkungen führten dazu, dass das Medikament auch in der Drogenszene als Partydroge eingesetzt wurde.
In den letzten Jahren haben Forschungsergebnisse die Anwendung von Ketamin in neuen medizinischen Gebieten ermöglicht. Die schnelle und starke Wirkung bei schweren Depressionen hat unter Wissenschaftlern Hoffnung auf neue Therapieansätze geweckt.