Mann beim Training mit Faszienrolle
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Faszien: 11 Fragen im Experten-Interview

Von: Nadja Annerl (geb. Weber) (Medizinredakteurin)
Letzte Aktualisierung: 10.09.2024

Faszien haben in der Medizin, der Forschung sowie in der Vorbeugung und Behandlung verschiedener Beschwerden eine immer größere Bedeutung. Doch was sind Faszien überhaupt und wofür sind sie gut? Das und weitere Fragen beantwortet Faszienforscher Dr. Robert Schleip, Humanbiologe und Leiter des "Fascia Research Project" der Universität Ulm in unserem Interview.

1. Was sind Faszien?

Dr. Schleip: Faszien sind weißes, muskuläres Bindegewebe, das Knochen, Muskeln, Sehnen und Organe als Hülle umschließt. Unsere Faszien bilden ein Netzwerk, das sich durch den ganzen Körper zieht und ihm somit Struktur gibt. Früher hat man dieses Gewebe in der Schulmedizin eher vernachlässigt. Man hat es mehr oder weniger als "Verpackungsorgan" betrachtet.

2. Welche Funktion haben Faszien?

Dr. Schleip: In den letzten Jahren hat man festgestellt, dass dieses muskuläre, faserige und elastische Bindegewebe viele wichtige Funktionen im Körper hat: Es ist für die Körperwahrnehmung eines unserer wichtigsten Sinnesorgane. Über 100 Millionen Nervenenden befinden sich in diesem kollagenen Gewebsnetz. Kollagene sind faserbildende Proteine des Bindegewebes.

Eine weitere Funktion ist, dass Faszien die Kraftübertragung von Muskel zu Muskel beeinflussen. Faszien stützen und formen also auch den Körper. Somit können gesunde Faszien beispielsweise Rückenschmerzen vorbeugen.

3. Wie kommt es, dass Faszien verkleben und was sind die Folgen?

Dr. Schleip: Gesunde Faszien und Faszien in jungen Jahren haben häufig eine scherengitterartige Struktur und sind damit optimal elastisch. Bei älteren, verletzten oder untrainierten Menschen verfilzt das Gewebe, indem die Kollagenfasern eine ungeordnete Geometrie aufweisen und miteinander verkleben.

Meistens liegt das an einem mangelnden oder falschen Gebrauch – also an fehlender Bewegung. Diese Unterforderung der Faszien kommt recht häufig vor. Verfilztes Gewebe kann jedoch auch vorkommen, wenn ein Körperteil eingegipst war. In der Folge ist man nicht mehr so beweglich und wird steif.

Bei Sportler*innen können die Faszien ebenfalls verfilzen, was dann auf eine Überforderung der Faszien zurückzuführen ist.

4. Faszien sollen Rückenschmerzen auslösen können – ist da was dran?

Dr. Schleip: Ja, das stimmt! Allerdings wissen wir noch nicht, zu welchem Prozentsatz Faszien für Schmerzen im Rücken verantwortlich sind. Was wir jedoch wissen: Selbst wenn ein Bandscheibenvorfall vorliegt, ist dieser in den meisten Fällen nicht für die Rückenschmerzen verantwortlich. Für mindestens 80 Prozent der Rückenschmerzen heißt es: Ursache unbekannt.

Und hier kommen nun die Faszien ins Spiel. Man hat festgestellt, dass diese bei Rückenschmerz-Patient*innen deutlich verändert und verklebter sind als bei gleichaltrigen, gesunden Menschen und dass die Rückenfaszien bei uns Menschen zahlreiche Nervenenden haben, die der Schmerz- und Bewegungswahrnehmung dienen.

5. Sind dann viele vermeintliche Muskelverletzungen vielleicht eher Verletzungen der Faszien?

Dr. Schleip: Das kann man so sagen, ja. Der sogenannte Muskelkater zum Beispiel müsste eigentlich "Faszienkater" heißen. Denn die freien Nervenenden, die ein bis zwei Tage nach der sportlichen Betätigung sehr sensibel sind, liegen in der faszialen Muskelhülle und nicht im Muskel selber.

Warum die Faszien bei Muskelkater nun wehtun, weiß man allerdings noch nicht genau. Es könnte sein, dass die Muskelhülle Mikroverletzungen davongetragen hat. Es könnte jedoch auch sein, dass der Muskel selber verletzt wurde und die Muskelhülle dann als designiertes Alarm-Gewebe wehtut.

6. Ist Faszientraining gut gegen Muskelkater?

Dr. Schleip: Bei Muskelkater können Faszienrollen eine Hilfe sein. Diese stimulieren nicht nur das Bindegewebe, sondern auch die Haut, die Muskeln und andere Gewebearten. Dazu gibt es mittlerweile relativ zuverlässige, evidenzbasierte Übersichtsarbeiten, die zeigen, dass der Muskelkater durch ein anschließendes Rollen – das würde ich jetzt aber eher Regenerationsbehandlung als Training nennen – effizient gemindert wird. Und zwar noch deutlicher als anschließende Massagen; vermutlich, weil beim Rollen die Durchblutung und Stimulation noch mehr als bei Massagen gefördert werden.

Neue Studien, unter anderem im Journal of Sport Rehabilitation1, haben auch gezeigt, dass bei Rollen mit Vibrationskern die subjektive Schmerzdämpfung sogar noch intensiver ist.

Wärmt man sich vor dem Sport zum Beispiel mit einer Faszienrolle auf, hat man eine gute Chance, damit einem Muskelkater vorzubeugen. Durch das Aufwärmen wird der Körper besser durchblutet und die Elastizität der Muskelhüllen nimmt zu, sodass Verletzungen nicht so leicht entstehen. Dieser vorbeugende Effekt ist zwar noch nicht eindeutig belegt, aber es deutet einiges darauf hin. Doch auch hier gilt: Wer sich beim Training überanstrengt, muss mit Schmerzen rechnen.

7. Wie kann ich meine Faszien trainieren und was bringt das Training?

Dr. Schleip: Es gibt vier Säulen, mit denen man seine Faszien optimal trainieren kann:

  1. Mit Faszienrollen oder -bällen kann man das Bindegewebe geschmeidig halten und verklebte Faszien lösen. Die Rollen sind jedoch nicht die einzige Möglichkeit und reichen alleine auch nicht für ein Faszientraining aus.
  2. Mindestens genauso wichtig sind federnde, sprunghafte Bewegungen, die die Faszien elastisch halten. Im Gesundheitssport wurde von diesem Sprungkrafttraining leider lange abgesehen, da man der Meinung war, man könne Muskeln und Kreislauf anders effizienter trainieren und man habe dadurch weniger Überlastungsschäden. Wichtig ist jedoch nun die Wiederentdeckung hüpfender und federnder Bewegungen, da man durch diese eher das weiße als das rote Gewebe trainiert. Diese beiden Gewebearten kann man zwar nicht getrennt voneinander trainieren, doch man kann Schwerpunkte setzten. Beispielsportarten wären hier Springseilspringen oder Trampolinspringen.
  3. Darüber hinaus tun streckende Dehnungen, ähnlich wie bei einer Katze, dem Gewebe gut. Hierbei ist wichtig, dass die Dehnung nicht nur einen Muskel beansprucht, sondern ganzheitlich und dynamisch ausgeführt wird. Denn so werden die über mehrere Gelenke verlaufenden faszialen Ketten stimuliert. Besonders eignen sich hier zum Beispiel Yoga-, Thai Chi- oder Qi Gong-Übungen.
  4. Nicht zuletzt sollten Faszien auch als Wahrnehmungsorgan durch feine, die Sinne schulende Bewegungen trainiert werden. In den Sportwissenschaften spricht man dann oft vom sogenannten sensomotorischen Training. Hierbei wird versucht, durch Ausschalten von visuellen Reizen (zum Beispiel Augen schließen) oder erschwerte Bedingungen das Körpergefühl zu trainieren. Dazu zählt beispielsweise das gezielte Anschmiegen einzelner Wirbel an eine Rücklehne im Sitzen.

8. Wie oft und wie lange sollte ich meine Faszien trainieren?

Dr. Schleip: Es kommt auch immer darauf an, was man erreichen will. Möchte man altes kollagenes Gewebe abbauen, empfiehlt sich tägliches Rollen für einige Minuten pro Bereich. Will man aber Kollagen festigen, würde ich nur alle zwei bis drei Tage rollen, denn der Kollagenaufbau braucht eine gewisse Nachwirkungszeit.

9. Kann ich meinen Faszien sonst noch etwas Gutes tun?

Dr. Schleip: Bewegung ist natürlich das Wichtigste für unsere Faszien. Doch auch eine ausgewogene Ernährung und gesunder Schlaf kommen hier ins Spiel. Ein gesunder Lebensstil kann ergänzend zu ausreichend Bewegung dazu beitragen, dass die Faszien elastisch bleiben.

10. Woran erkenne ich, wenn ich es mit dem Faszientraining übertreibe?

Dr. Schleip: Gerade diese vorhin beschriebenen federnden, hüpfenden Bewegungen rufen in uns emotional eine gewisse jugendliche Leichtigkeit hervor. Dieses Empfinden kann dazu führen, dass Menschen sich überschätzen. Dann laufen sie Gefahr, das Training zu übertreiben. Zerrungen oder ähnliche Verletzungen können dann die Folge sein.

Gerade ältere Männer muss man in diesem Übermut bremsen. Stattdessen sollten sie "altersgerecht", das heißt langsam und dosiert trainieren. Bei Frauen kann es vorkommen, dass, wenn sie es mit der Faszienrolle übertreiben, Blutergüsse oder Besenreiser entstehen.

In Amerika ist dieses Verhalten häufiger als in Deutschland zu beobachten: US-amerikanische Frauen behandeln sich hier so lange, bis sie blaue Flecken bekommen. Angeblich soll das gegen Cellulite helfen. Deutlich gesünder ist ein niedriger dosiertes und vor allem schonenderes Training, das auf Dauer zur Straffung der Haut führen kann. Auch regelmäßiges Joggen reduziert Cellulite sichtbar. Doch sollte man immer im Hinterkopf behalten, dass Cellulite auch genetisch bedingt ist.

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11. Gibt es bestimmte Personengruppen, für die das Faszientraining eher ungeeignet ist?

Dr. Schleip: Streckende Dehnungen tun fast jedem gut. Gleichwinklige Bewegungen, wie sie Viel-Jogger ausüben, können die Faszien hingegen überfordern. Auch beim federnden Sprungkrafttraining muss man aufpassen. Menschen mit Entzündungen im Körper sollten diese erst abklingen lassen, bevor sie mit leichten Wipp-Bewegungen ins Training einsteigen können. Auch Menschen mit Osteoporose sollten hüpfende Bewegungen nur nach ärztlicher Absprache praktizieren.

Darüber hinaus sollten Menschen, die sich im Alltag häufig – und manchmal ohne zu wissen woher – blaue Flecken einholen, mit einer weichen Faszienrolle beginnen und sich nach und nach steigern. Denn diese Menschen haben ein schwaches Bindegewebe und würden sich mit einer harten Rolle weitere Blutergüsse zuziehen.

Fazit: Faszientraining als Ergänzung

Dr. Schleip: Bei aller Begeisterung sollte man ein Faszientraining als Ergänzung – und nicht als Ersatz – für Muskel-, Kreislauf- und Koordinationstraining sehen. Wie so oft macht es auch hier die Kombination.

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