Long- und Post-COVID-Syndrom nach Corona-Infektion
Viele COVID-19-Verläufe zeigen sich in einer relativ kurzen Krankheitsdauer, nach der die Betroffenen wieder vollständig genesen und keinerlei Symptome mehr aufweisen. Doch was ist mit den Menschen, die sich längere Zeit nach der akuten Infektion weiterhin krank fühlen? Wer noch Monate nach einer Coronavirus-Infektion an anhaltenden Symptomen wie Muskelschmerzen, Müdigkeit und bleierner Erschöpfung leidet, hat womöglich Long- oder Post-COVID. Darunter werden alle Langzeitfolgen von Corona zusammengefasst. Welche Langzeitfolgen gibt es, was sollte man zu Fatigue als Spätfolge wissen und ist die Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue Syndrom (ME/CFS) eine mögliche Langzeitfolge von COVID-19?
Was bedeutet Long- und Post-COVID-Syndrom?
In der Medizin spricht man vom Long- und Post-COVID-Syndrom, wenn bei Menschen nach überstandener Corona-Infektion Symptome zurückbleiben. Von Long-COVID spricht man, wenn Symptome mindestens vier Wochen nach einer Corona-Infektion anhalten, während sie bei Post- COVID für mindestens zwölf Wochen fortbestehen.
Wie viele Menschen vom Long- oder Post-COVID-Syndrom betroffen sind, ist nicht genau bekannt, da unterschiedliche Studien zu verschiedenen Ergebnissen kamen. Im Schnitt geht man von circa 15 Prozent aus, die nach einer Infektion mit dem Coronavirus am Long-COVID-Syndrom leiden und zwei Prozent, die von Post-COVID betroffen sind.
Welche Symptome treten auf?
Die Beschwerden können fast alle Organe betreffen, da sich das Virus im gesamten Körper ausbreitet. Zudem werden Langzeitfolgen auch bei ehemals Infizierten beobachtet, die im akuten Krankheitsstadium nur an leichten Symptomen litten.
Es gibt bisher über 200 bekannte Symptome des Long- und Post-COVID-Syndroms, darunter:
- Funktionsstörungen der Lunge: Auch, wenn die Beschwerden durch die akute Infektion bereits abgeklungen sind, leiden viele Betroffene an einer eingeschränkten Lungenfunktion, die oft mit Husten und Luftnot einhergeht.
- Verlust oder Störung des Geruchs- und Geschmacksinns: Die Einschränkungen im Geruchs- und Geschmacksempfinden können bei akuter Infektion auftreten und bleiben bei einigen Personen noch lange nach der akuten Krankheitsphase zurück.
- Neben Konzentrationsstörungen und Schwindel sind auch Herz-Rhythmus-Störungen wie Herzrasen mögliche postvirale Symptome.
- Muskel-, Nerven-und Kopfschmerzen können chronisch werden.
- Neben einer Belastungsintoleranz, also einer Verschlechterung der Beschwerden nach körperlicher oder geistiger Anstrengung, können infolge der Erkrankung auch Schlaf- und Angststörungen sowie Depressionen auftreten.
Geistige Leistungsfähigkeit beeinträchtigt
Durch Long-COVID kann auch die geistige Leistungsfähigkeit beeinträchtigt werden – nach einer Auswertung von IQ-Tests unabhängig davon, ob Menschen mit COVID-19 im Krankenhaus behandelt werden mussten oder nicht. Besonders stark sind die Leistungseinbußen dennoch bei denjenigen, die auf der Intensivstation beatmet wurden.
Im Rahmen einer britischen Studie aus dem Frühjahr 2022 wurden die kognitiven Fähigkeiten von 46 Personen untersucht, die sechs Monate zuvor wegen COVID-19 intensivmedizinisch behandelt werden mussten. Das Ergebnis: Ihr Gehirn alterte durch die Infektion und Behandlung, was sich in einem um etwa zehn Punkte reduzierten IQ zeigte. Besonders häufig litten die Studienteilnehmenden in der Folge unter Wortfindungsstörungen. Die Studie bestätigte damit zwar bisherige Annahmen zu kognitiven Ausprägungen von Post-COVID, war mit nur 46 Untersuchungspersonen aber nicht besonders repräsentativ.
Erschöpfung (Fatigue) als Symptom
Neben diesen möglichen Spätfolgen fühlen sich viele Betroffene nach der akuten Krankheitsphase häufig anhaltend erschöpft und zeigen Anzeichen von Fatigue. Auf Französisch steht "Fatigue" für "Erschöpfung, Müdigkeit". Die ehemaligen Coronavirus-Infizierten fühlen sich bei der Long- und Post-COVID-Fatigue aber nicht etwa nur schlapp oder weniger belastbar als noch vor der SARS-CoV-2-Infektion, sondern vielmehr außer Stande, alltäglichen Erledigungen nachzugehen.
Das Symptom Fatigue allgemein wird bei hausärztlichen Untersuchungen oft geschildert und kommt auch bei anderen Viruserkrankungen vor. Fatigue ist zudem eines der Hauptsymptome bei "Myalgischer Enzephalomyelitis/Chronischem Fatigue Syndrom (ME/CFS)", auch als "chronisches Erschöpfungssyndrom" bezeichnet. Es tritt bei ME/CFS nach körperlicher, geistiger oder emotionaler Belastung meist zeitverzögert auf. Nach einer Corona-Infektion kann es sowohl lediglich zum Auftreten der Fatigue an sich kommen als auch zur Ausbildung einer postinfektiösen ME/CFS. Wenn die Fatigue mehr als sechs Monate nach der Infektion bestehen bleibt, sollte eine Untersuchung auf ME/CFS erfolgen.
Für das chronische Fatigue-Syndrom sprechen unter anderem auch die von vielen ehemaligen COVID-19-Infizierten häufig geschilderten Symptome wie Muskelschmerzen und Konzentrationsprobleme.
Fatigue auch nach mildem Symptomverlauf
Dass Menschen nach überstandenen Infektionen noch eine Zeit lang geschwächt sind, ist grundsätzlich normal. Dabei sind typische Symptome wie Fatigue in der Regel umso ausgeprägter und andauernder, je schwerer der Krankheitsverlauf war.
Daher ist für Fachleute auch nachvollziehbar, dass Menschen mit COVID-19 nach schweren Verläufen, die im Krankenhaus behandelt werden mussten, teilweise noch lange nach der akuten Krankheitsphase sehr geschwächt sind.
Was aber verwundert: Im Falle von SARS-CoV-2 scheint eine über mehrere Monate anhaltende Erschöpfung auch sehr häufig bei besonders milden Krankheitsverläufen aufzutreten. Viele ehemalige Infizierte, die in der akuten Phase der Erkrankung kaum Symptome zeigten, berichten noch Monate später von Schlappheit und anhaltender Müdigkeit. Sie fühlen sich völlig erschöpft.
In einer Studie mit 458 Teilnehmenden gaben 46 Prozent der Befragten vier Monate nach der COVID-19-Infektion an, weiterhin an Fatigue zu leiden. Keine der Personen war im Krankenhaus behandelt worden.
Chronisches Erschöpfungssyndrom bei SARS-CoV-1-Pandemie 2003
Auch von früheren Virusausbrüchen ist bekannt, dass bei einigen Betroffenen chronische Erschöpfungszustände noch lange nach der scheinbar überstandenen Infektion zurückbleiben. So zum Beispiel beim Epstein-Barr-Virus oder bei der SARS-Pandemie von 2003. Eine Studie kam in diesem Zusammenhang damals zu dem Ergebnis, dass beinahe ein Drittel der Betroffenen auch noch Monate nach der Infektion mit dem Virus SARS-CoV-1, das dem COVID-19-Erreger sehr ähnlich ist, körperlich deutlich weniger belastbar und sehr erschöpft waren. Und das, obwohl die Lungenfunktion bereits wieder vollständig hergestellt war.
Von ehemaligen SARS-CoV-1-Infizierten aus Toronto gaben sogar zwei Drittel der Befragten noch ein Jahr nach der Infektion an, dass sie an chronischer Erschöpfung litten. Und 40 Prozent von ehemals an SARS-CoV-1-Erkrankten aus Hong Kong klagten selbst vier Jahre nach überstandener Infektion noch über Fatigue, so das Ergebnis einer 2009 publizierten Studie.
Ursachen: Wie kommt es zu Fatigue nach COVID-19-Infektion?
Bei den Personen, die sich noch lange nach der überstandenen COVID-Infektion stark erschöpft fühlten, wurden unter anderem Veränderungen der Lymphozyten (einer Untergruppe der weißen Blutkörperchen, die für die Immunabwehr wichtig sind) festgestellt. Auch sogenannte Autoantikörper, also Antikörper, die sich fälschlicherweise gegen körpereigene Strukturen wenden, konnten bei Menschen mit Long-COVID nachgewiesen werden.
Auch gibt es Nachweise von Viruspartikeln im Körper von Long-COVID-Betroffenen, die sich noch Monate nach der eigentlichen Infektion nachweisen ließen. Diese kleinsten Partikel könnten zu einer dauerhaften Stimulierung des Immunsystems führen, die auch mit ständigen Entzündungen im Körper einhergeht. Dadurch kann es zu den typischen Beschwerden kommen.
Fachleute gehen also davon aus, dass es sich bei Fatigue um eine immunologisch bedingte Langzeitfolge von Coronavirus-Infektionen handeln könnte. Denn das Immunsystem arbeitet dauerhaft weiter und benötigt dadurch Energie, was wiederum zu Erschöpfung führt.
Daneben könnten Schäden an Organen wie Lunge oder Herz sowie die psychische Belastung durch die Erkrankung die Entstehung der Fatigue begünstigen. An chronischer Erschöpfung nach Infektionen mit COVID-19 scheinen nach bisherigem Kenntnisstand außerdem mehr Frauen als Männer zu leiden.
Auch wenn mittlerweile vermehrt Erkenntnisse über mögliche Langzeitfolgen von COVID-19 vorliegen, sind weitere, über einen größeren Zeitraum angelegte, Studien notwendig. Forschende wollen nun vor allem herausfinden, welche Menschen besonders häufig vom Post-COVID-Syndrom betroffen sind und was mögliche Risikofaktoren sind.
Therapie der ME/CFS und weiterer Beschwerden nach COVID-19
Einer postviralen Fatigue, wie sie auch nach COVID-19 auftreten kann, kann zunächst durch Schonung, Ruhe und Entspannung entgegengewirkt werden. Betroffene Personen sollten darauf achten, ausreichend zu schlafen und stressige Situationen nach Möglichkeit vermeiden. Auch sportliche Aktivitäten sollten nur im Rahmen des körperlich Möglichen ausgeübt und lieber langsam und allmählich gesteigert werden. Sollten sich die Beschwerden innerhalb eines Monats nach überstandener Infektion nicht bessern oder wenn die dauernde Erschöpfung den Alltag stark einschränkt, sollte ärztlicher Rat gesucht werden.
Für Personen, die nach einer durchgestandenen Coronavirus-Infektion unter ME/CFS leiden, sind vor allem sorgfältige Nachuntersuchungen wichtig. Behandelnde Ärzte*Ärztinnen sollten die Beschwerden nicht leichtfertig abtun, sondern die Betroffenen ernst nehmen und diese im Zweifelsfall überweisen, um eine fachmedizinische Behandlung einzuleiten. Die Diagnose erfolgt häufig über den Ausschluss anderer Krankheiten mit ähnlichen Symptomen, wie Leukämie oder Depressionen.
Da die Erkrankung ME/CFS bisher nicht ausreichend erforscht ist, ist auch noch keine einheitlich wirksame Therapie bekannt. Zum Behandlungsplan gehören häufig:
- eine ausgewogene Ernährungsweise
- geregelte Schlaf- und Ruhezeiten
- Schmerztherapie
- eine Unterstützung des Kreislaufs
- die Beseitigung bestehender Infekte
Psychologische Unterstützung kann zusätzlich dabei helfen, die Erkrankung besser zu bewältigen.
Aktuelle Forschungsergebnisse deuten jedoch darauf hin, dass eine Infusion mit einem sogenannten Aptamer, also einem künstlich hergestellten DNA-Fragment, sowohl zur Behandlung von Long-COVID als auch ME/CFS eingesetzt werden könnte. Der Wirkstoff neutralisiert schädigende Autoantikörper im Blut. Die positiven Effekte von BC 007 konnten in Einzelfällen bereits belegt werden. Momentan läuft eine umfassende wissenschaftliche Studie, die die Wirksamkeit des Mittels bei Long-COVID-Patient*innen nachweisen soll (Stand: August 2022).
Verlauf: Wie lange hält Fatigue nach COVID-19 an?
Ehemalige Coronavirus-Infizierte befürchten häufig, dass die post-viralen Erschöpfungsbeschwerden dauerhaft bestehen bleiben könnten. Nach bisherigen Erkenntnissen ist aber davon auszugehen, dass sich bei den meisten Betroffenen die Fatigue innerhalb von einem bis drei Monaten wieder bessert.
Ob bei Coronavirus-Erkrankungen auch eine unvollständige Heilung (auch "Reparationsheilung" oder "Defektheilung") denkbar ist, also Symptome dauerhaft zurückbleiben, kann aber nach jetzigem Stand der Forschung noch nicht sicher ausgeschlossen werden.