Frau mit Aminosäurestoffwechselstörung
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Phenylketonurie, Ahornsirupkrankheit & Co. – Störungen im Aminosäurestoffwechsel

Von: Dagmar Reiche (Ärztin und Medizinautorin), Jasmin Rauch (Medizinredakteurin)
Letzte Aktualisierung: 06.04.2023

Aminosäuren sind lebenswichtige Substanzen, ohne die unser Stoffwechsel keine Eiweiße zusammenbauen könnte. Daneben haben sie andere unverzichtbare Aufgaben, zum Beispiel im Nervensystem, im Leberstoffwechsel, beim Wachstum oder beim Aufbau von Haut, Haaren und Nägeln. Manche Aminosäuren kann der menschliche Organismus selbst herstellen, andere dagegen müssen zwingend mit der Nahrung zugeführt werden. Kommt es krankheitsbedingt zu Störungen im Aminosäurestoffwechsel, kann dies starke gesundheitliche Beschwerden auslösen. Mögliche Folgen sind beispielsweise die Ahornsirupkrankheit, eine Phenylketonurie und andere Erkrankungen des Aminosäurestoffwechsels. Welche gibt es noch, wie zeigen sie sich und wie erfolgen Diagnose und Behandlung?

Enzymopathie als Ursache für Störungen des Aminosäurestoffwechsels

Die Prozesse beim Auf- und Abbau der Aminosäuren und Eiweiße im Organismus sind sehr komplex; eine ganze Reihe von Enzymen und Coenzymen ist daran beteiligt. Sind einzelne davon defekt oder werden sie vom Körper gar nicht oder nur in unzureichender Menge hergestellt – was zusammenfassend als Enzymopathie bezeichnet wird – kommt es zum Beispiel zu einer Störung im Aminosäurestoffwechsel oder zu Krankheiten wie der Porphyrie oder dem Morbus Fabry.

Meist äußern sich diese enzymbedingten Defekte im Aminosäurestoffwechsel darin, dass die Vorstufen oder Zwischenprodukte nicht in die endgültige Aminosäure umgewandelt werden können. Die Folge ist, dass sich diese Vorstufen im Körper ansammeln, die Aminosäure dagegen fehlt oder ihre Menge nicht ausreicht, um ihre Funktion zu erfüllen. Darüber hinaus kann auch der Abbau bestimmter Aminosäuren gestört sein, wodurch sich diese im Übermaß anreichern. In manchen Fällen ist auch der Transport von Aminosäuren gestört, sodass diese zum Beispiel nicht mehr aus dem Urin aufgenommen und zurück in den Körper befördert werden können.

Durch diese Fehlfunktionen kommt es zu einer Schädigung von Gewebe und Organen durch die Anreicherung der Zwischenprodukte oder Aminosäuren und/oder zu Ausfallerscheinungen infolge des Aminosäuremangels.

Die Aminosäurestoffwechselstörungen haben eines gemeinsam: Sie beruhen auf einem angeborenen Gendefekt, werden also vererbt. Die meisten sind allerdings sehr selten. Die Ausprägung kann variieren – je nachdem, ob ein Enzym völlig fehlt oder nur in seiner Funktion eingeschränkt ist.

Diagnose oft schwierig

Da ein Stoffwechselweg mehrere Stationen umfasst, bei denen verschiedene Enzyme nötig sind, können jeweils mehrere Störungen auftreten. Der Weg bis zur Diagnosestellung ist bei vielen der Störungen häufig schwierig, da die meisten dieser Krankheiten sehr selten und die Symptome eher unspezifisch sind. Häufig werden zur Diagnose verschiedene Laborwerte, wie eine Analyse der Blutgase oder des Ammoniakspiegels, herangezogen.

Einige Erkrankungen des Aminosäurestoffwechsels sind mittlerweile aber Bestandteil des erweiterten Neugeborenen-Screenings. Dabei werden die Säuglinge mittels einer Blutprobe auf Phenylketonurie (PKU), Hyperphenylalaninämie (HPA), Ahornsirupkrankheit (Maple Sirup Urine Disease, MSUD), Isovalerianazidurie sowie Tyrosinämie Typ I getestet.

Welche Arten von Aminosäurestoffwechselstörungen es unter anderem gibt, erfahren Sie im Folgenden.

Störungen des Phenylalanin-Tyrosin-Stoffwechsels

Phenylalanin ist eine Aminosäure, die über die Nahrung aufgenommen werden muss. Sie wird benötigt, um Tyrosin herzustellen, eine wichtige Substanz, aus der das Hautpigment Melanin, das Schilddrüsenhormon Thyroxin und die Botenstoffe Adrenalin, Noradrenalin und Dopamin hergestellt werden.

Der normale Phenylalanin-Tyrosin-Stoffwechselweg ist wie folgt:

  1. Phenylalanin > Tyrosin
  2. Tyrosin > Homogentisinsäure
  3. Homogentisinsäure > Maleylacetessigsäure
  4. Maleylacetessigsäure > Acetessigsäure/Fumarsäure

Die letzten beiden Substanzen werden dann in einem anderen Stoffwechselprozess weiter umgebaut.

Je nachdem, bei welchem dieser Schritte es zu Störungen kommt, tritt eine Phenylketonurie, eine Alkaptonurie oder eine Tyrosinose auf.

Phenylketonurie

Die Phenylketonurie (kurz PKU) ist die häufigste angeborene Störung des Aminosäurestoffwechsels (circa 1 von 10.000 Neugeborenen). Bei der Krankheit liegt ein Defekt des Enzyms Phenylalaninhydroxylase vor, das für die Umwandlung von Phenylalanin zu Tyrosin zuständig ist. Deshalb reichern sich Phenylalanin und dessen Stoffwechselprodukte (Phenylessigsäure, Phenylmilchsäure und Phenylbrenztraubensäure) in Blut und Geweben an. Gleichzeitig kommt es zu einem Mangel an Tyrosin. Diese beiden Faktoren können insbesondere das Gehirn schädigen.

Unbehandelt führt dies zu verzögerter körperlicher Entwicklung, geistiger Behinderung und Krampfanfällen. Da bei einer – in den ersten beiden Lebensmonaten einsetzenden – phenylalaninarmen Diät eine normale Entwicklung möglich ist, wird seit über 30 Jahren im Rahmen des Neugeborenen-Screenings am dritten bis fünften Lebenstag geprüft, ob es Hinweise auf eine Phenylketonurie gibt. Die Diät (angereichert mit speziellen Aminosäuren) sollte mindestens bis zur Pubertät sowie während einer Schwangerschaft eingehalten werden. Häufig wird sie aber lebenslang angewendet.

Zusätzlich kann eine Therapie mit dem Wirkstoff Sapropterin erfolgen, der die Verträglichkeit bestimmter Lebensmittel bei den betroffenen Personen erhöhen kann.

Alkaptonurie

Bei der Alkaptonurie (AKU) fehlt das Enzym Homogentisat-Dioxygenase (HGO), das die Homogentisinsäure in Maleylacetessigsäure umwandelt. Deshalb wird die Homogentisinsäure (in oxidierter Form als Alkapton) vermehrt über den Harn ausgeschieden sowie an verschiedenen Stellen im Körper eingelagert. Dies führt zu:

  • dunkel verfärbtem Urin sowie dunklen Verfärbungen der Haut an Ohren, Nase beziehungsweise der Hornhaut an den Augen
  • Wirbelsäulen- und Gelenkveränderungen oder -schmerzen
  • Kalkablagerungen in Sehnen, Bändern und Gefäßen
  • Herzfunktionsstörungen
  • Nierensteinen

Zur Therapie steht der Wirkstoff Nitisinon zur Verfügung. Dieser hemmt die Bildung von Homogentisinsäure, welche sich deshalb weniger stark ansammeln kann. Zusätzlich wird auch bei der Alkaptonurie eine spezielle, tyrosinarme Diät eingehalten. Auch eine Schmerz-, Ergo- oder Physiotherapie kann den betroffenen Personen helfen.

Tyrosinose

Die Tyrosinose wird auch als Tyrosinämie Typ 1 bezeichnet. Bei dieser seltenen Krankheit (Häufigkeit etwa 1 : 135.000) ist das Enzym Fumarylacetoacetase defekt, das bei der Umwandlung der Maleylacetessigsäure hilft. Aus dieser werden stattdessen giftige Substanzen hergestellt. Diese schädigen vor allem die Leber, sodass diese bereits im Säuglingsalter bindegewebig umgebaut wird (Leberzirrhose), woraus sich später häufig ein Leberkrebs entwickelt. Daneben wird auch die Nierenfunktion beeinträchtigt und die Bildung einiger Stoffwechselenzyme wird gehemmt.

Unbehandelt verläuft eine Tyrosinose in den allermeisten Fällen tödlich (90 Prozent Sterblichkeit in den ersten beiden Lebensjahren). Wie bei einer Alkaptonurie wird auch bei einer Tyrosinose der Wirkstoff Nitisinon zur Therapie der Erkrankung eingesetzt. Dieser verhindert die Bildung giftiger Substanzen aus Maleylacetessigsäure. Zusätzlich muss eine tyrosin- und phenylalaninarme Kost eingehalten werden.

Störungen des Stoffwechsels verzweigtkettiger Aminosäuren

Auch im Stoffwechsel von verzweigtkettigen Aminosäuren kann es zu Störungen und dadurch zur Entstehung von Krankheiten kommen. Zu den verzweigtkettigen Aminosäuren gehören Valin, Isoleucin und Leucin.

Ahornsirupkrankheit (Leucinose)

Bei dieser sehr seltenen Stoffwechselkrankheit (Häufigkeit etwa 1: 200.000) liegt ein Defekt des Enzyms Alpha-Ketosäuren-Dehydrogenase zugrunde, sodass die drei Aminosäuren Leuzin, Isoleucin und Valin nicht umgebaut werden können.

Diese reichern sich somit im Blut und Urin an und schädigen – ähnlich wie bei der PKU – vor allem das Gehirn. Dadurch kommt es zu Krampfanfällen, Trink- und Muskelschwäche beziehungsweise -steifheit sowie Entwicklungsstörungen bis hin zum Koma.

Typisch ist, dass der Schweiß der Betroffenen und vor allem ihr Urin einen ähnlichen Geruch wie Maggi oder Ahornsirup aufweisen. Dies liegt daran, dass der Körper im Rahmen der Erkrankung den Aromastoff Sotolon bildet, welcher je nach Konzentration süßlich bis würzig-herb riecht.

Unbehandelt schränkt die Ahornsirupkrankheit die Lebenserwartung häufig stark ein und führt nach wenigen Monaten zum Tod. Dauerschäden können nur durch den frühzeitigen Beginn einer speziellen, lebenslang einzuhaltenden Diät (angereichert mit speziellen Aminosäuren) verhindert werden. Allerdings gibt es auch leichtere Verlaufsformen, bei dem der Enzymdefekt und die Beschwerden nur mild ausgeprägt sind. Bei einer dieser leichten Verlaufsformen kann auch die Gabe von hochdosiertem Thiamin (Vitamin B1) die Symptome positiv beeinflussen.

Organoazidopathien (Organoacidämien, Organacidurien)

Unter diesem Oberbegriff werden eine Vielzahl von vererbten Stoffwechselstörungen zusammengefasst. Fast immer liegt – wie bei den bereits beschriebenen Krankheiten – ein spezieller Enzymdefekt vor, wodurch die Amino- oder Fettsäuren nicht richtig abgebaut werden können, sich im Organismus anreichern und so Schäden verursachen. Besonders in Situationen, die den Körper belasten (wie Fieber, Infektionen, Operationen, Impfungen) können durch die Übersäuerung (Azidose) lebensbedrohliche Krisen auftreten.

Beispiele für Organzoazidopathien sind die Isovalerianazidämie (gestörter Abbau der Aminosäure Leucin), die Methylmalonazidurie (Abbaustörung von Methylmalonsäure) sowie die Propionazidämie (Störung des Abbaus von Propionyl-CoA). Man vermutet, dass in Deutschland eins von 6.000 Kindern betroffen ist, wobei Ausprägung und Prognose sehr unterschiedlich sind.

Je nach betroffenem Enzym werden drei Verlaufsformen unterschieden:

  1. Akute neonatale Stoffwechselkrise: plötzliche, massive Symptome bei Neugeborenen nur wenige Tage nach Nahrungsaufnahme (zum Beispiel Trink- und Muskelschwäche, Erbrechen, Bewusstseinsverlust bis zum Koma)
  2. Spätere oder intermittierende (wiederkehrende) Form: erstes Auftreten von Beschwerden erst im Kleinkindesalter (Gedeih- und Entwicklungsstörungen, häufiges Erbrechen, Krampfanfälle bis hin zu Überzuckerung mit Koma)
  3. Neurodegenerativer Verlauf: charakteristische Kombination neurologischer Beschwerden wie Gangstörungen, Muskelanspannungen und Krämpfe. Akute Stoffwechselkrisen treten seltener auf

Therapeutisch ist meist eine spezifische Ernährung nötig, bei der die auslösenden Lebensmittel weggelassen werden. Daneben müssen bei vielen Störungen zusätzliche Substanzen eingenommen werden. Wichtig ist auch, dass akute, lebensbedrohliche Stoffwechselentgleisungen vermieden werden und dass die betroffenen Eltern und Kinder für den Notfall geschult sind.

Störungen des Stoffwechsels schwefelhaltiger Aminosäuren

Bei dieser Erkrankungsform kommt es zu einer Anreicherung von schwefelhaltigen Aminosäuren im Körper. Zwei mögliche Arten dieser Störungen sind:

  • Zystinose (auch Cystinose): Bei diesem seltenen Gendefekt (1 : 150.000 bis 200.000) kann die schwefelhaltige Aminosäure Zystin nicht aus den Körperzellen heraustransportiert werden. Sie lagert sich deshalb dort ab. In den Nieren führt dies zu Schädigung der Zellen und zu einer Niereninsuffizienz, bei der letztlich eine Hämodialyse nötig wird. Daneben kommt es auch zu einer Störung des Knochenstoffwechsels (Rachitis). Die Ablagerungen in der Hornhaut des Auges verursachen Tränenfluss und Lichtscheu. Es kann zu schweren Entgleisungen des Stoffwechsels, wie einer Hypoglykämie, kommen. Therapeutisch ist eine ausreichende Wasserzufuhr wichtig, daneben werden Salze, Vitamin D und der Wirkstoff Cysteamin gegeben. Dieser zögert die Entstehung von Nierenschäden hinaus und kann zudem (in Form von Augentropfen) Ablagerungen von Zystin in den Augen entgegenwirken.
  • Homozystinurie (auch Homocystinurie): Bei einer Homozystinurie sammelt sich Homozystein im Harn und im Blut an. Dadurch werden die Blutgefäße geschädigt, weshalb es zu einer Vielzahl an Symptomen an unterschiedlichen Organen kommen kann. Die Erkrankung wird in drei Formen (Typ I, II und III) eingeteilt. Mögliche Anzeichen sind unter anderem Hochwuchs, Verrutschen der Augenlinse, Störungen der Kognition oder Osteoporose. Die Behandlung besteht in einer lebenslangen Diät und zusätzlichen Gaben von Vitamin B6 oder Zystein.

Störungen der Harnstoffsynthese

Bei den sogenannten Harnstoffzyklusdefekten ist die Ammoniakentgiftung beeinträchtigt. Ammoniak ist eine giftige Substanz, die normalerweise in der Leber zu Harnstoff umgewandelt und mit dem Urin ausgeschieden wird. Harnstoff ist ein Endprodukt des Aminosäurestoffwechsels.

Bei den Betroffenen reichert sich Ammoniak im Blut an und führt vor allem zu einem Anschwellen von Hirnzellen und damit zu Beeinträchtigungen des Gehirns. Dies zeigt sich durch Krämpfe, neurologische Symptome, geistige Entwicklungsverzögerung und Bewusstseinsstörungen. Die Behandlung ist schwierig und umfasst eine lebenslange eiweißarme, kalorien- und kohlenhydratreiche Diät sowie verschiedene Medikamente.

Transportstörungen im Aminosäurestoffwechsel

Bei der Zystinurie (nicht zu verwechseln mit der Zystinose) können bestimmte Aminosäuren, insbesondere Zystin, nicht durch die Dünndarmzellen und Harnkanälchen geschleust werden. Diese vererbte Krankheit tritt bei etwa einem von 7.000 Kindern auf. Wichtigstes und meist einziges Symptom sind wiederkehrende Nierensteine, da sich die entsprechenden Aminosäuren im Urin ansammeln und dort feste Klumpen bilden.

Oft reicht zur Behandlung eine hohe Flüssigkeitszufuhr, wodurch der Harn stark verdünnt wird. Auch eine bestimmte Ernährungsweise kann notwendig sein. Die Wirkstoffe Alpha-Mercaptopropionylglycin und Captopril können die Ausscheidung von Zystin aus dem Körper fördern.

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